1933-1945


Hochschule und Gleichschaltung

Der Machtübernahme der Nationalsozialisten folgten zahlreiche staatliche Maßnahmen zur Umgestaltung der deutschen Gesellschaft, von denen auch die Hochschulen betroffen waren. Die Hochschulverwaltungen entpuppten sich dabei als funktionierende Teile einer bürokratischen Umsetzungsmaschine, die die rechtlichen Maßgaben der neuen Führung zur brutalen Realität für unliebsame Hochschulangehörige werden ließen. Entlassungen und Versetzungen waren die Folge. Die Grundlage bildete das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (BBG), das bereits zwei Wochen nach Hitlers „Ermächtigung“ verabschiedet worden war. Es erhob eine sogenannte „arische“ Abstammung und schwammige Formulierungen wie das „rückhaltlose Eintreten für den nationalen Staat“ zu Kriterien für die Beschäftigung im Staatsdienst. Um die Überprüfung eben jener Kriterien in der Hochschullehrerschaft hatten sich in besonderem Maße auch die Studenten verdient gemacht, indem sie schwarze Listen missliebiger Hochschullehrer anlegten. Auch Boykottaktionen gegen Lehrveranstaltungen gingen auf das Konto einer radikalisierten Studentenschaft.[1] Solche Aktionen konnten Entlassungen beschleunigen und gaben teils sogar den Anlass dafür, dass Dozenten nach dem BBG ihre Stelle verloren.[2] Damit bildeten die Hochschulen früh den Schauplatz für die nun einsetzende Etablierung einer rassistischen Staatsdoktrin.


NS-Hochschulpolitik

Die NS-Hochschulpolitik war nicht allein auf Diskriminierung und Ausschluss von politisch und „rassisch“ unerwünschten Hochschulangehörigen gerichtet. Weitere Maßnahmen betrafen die Vereinnahmung von Studenten in Form von Arbeitsdiensten, die sie neben dem Studium zu verrichten hatten; eine Zentralisierung, die alle Hochschulen unter das 1934 gegründete und im gesamten Reichsgebiet zuständige Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (auch „Reichserziehungsministerium“ oder REM) stellte; und Eingriffe in die Selbstverwaltung der Hochschulen stellten deren althergebrachten Rechte infrage. Hierzu sollte die Stellung des Rektors „als Führer“ über die der Fakultäten gehoben werden, während gleichzeitig Parteiorganisationen der NSDAP in die Abläufe der Hochschulen verankert wurden. So war von nun an ein Vertreter des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbunds (NSDDB) in die Entlassungs- und Berufungsverfahren des Hochschulpersonals eingebunden; an der TH Berlin in Gestalt des einflussreichen Willi Willing. Willing, der selbst an der TH Berlin studiert hatte, ist nur eines von zahlreichen Beispielen dafür, dass die Gleichschaltung der Hochschulen keineswegs nur ein „von außen“ gesteuerter Prozess war. Nicht allein ministeriale Verordnungen formten die NS-Hochschulpolitik, es waren auch die Beteiligten „vor Ort“, die sie umsetzten und prägten.[3] Ein weiteres Beispiel an der TH Berlin war der Amtsmanns der Verwaltung Max Bronder. Dass sich Hochschulangehörige den formalen Vorgaben von Staat und Partei systematisch widersetzten, war selten. Widerstand, etwa durch den Schutz von Kollegen, denen die Entlassung drohte, trat in erster Linie auf der Ebene persönlicher Sympathien auf oder dann, wenn keine fachlich qualifizierten Nachfolger für entlassungsbedrohte Hochschullehrer in Sicht schienen.

Trotz der Propagierung des „Führerprinzips“ in der NS-Diktatur war die Hochschulpolitik kein klar gelenkter Prozess „von oben nach unten“. Viele Beteiligte waren involviert, auf staatlicher Seite besonders das Reichserziehungsministerium unter der Leitung von Bernhard Rust. Das Ministerium war 1934 gegründet worden und bildete eine Komponente der Zentralisierung der Reichsverwaltung, indem die vormalige Länderkompetenz der Schul- und Hochschulpolitik reichsweit einheitlich geregelt werden sollte. Forciert wurde dieser Vorgang durch das „Gesetz über den Neuaufbau des Reichs“.[4] Das in Berlin ansässige Ministerium entwickelte sich in der Folge zu einem der wichtigsten Akteure, besonders im Bereich der Personalpolitik. Mit Heinrich Nipper, Franz Bachér und Rudolf Mentzel arbeiteten zudem einige Angehörige der TH Berlin in zentralen Positionen des REM und komplettieren damit ein Bild, das die TH Berlin – ähnlich wie im Fall der Rüstungsforschung – als eine Institution mit besonderer „Nähe zur Macht“ erscheinen lässt.[5] Daneben waren verschiedene Stellen der NSDAP an der Hochschulpolitik beteiligt, was häufig zu Konflikten führte. Die 1933 für alle Nicht-Ordinarien gegründeten Dozentenschaften waren formal staatliche Einrichtungen, sie wurden jedoch von NSDAP-Funktionären dominiert und waren spätestens ab 1936 unter eine einheitliche Führung mit dem NSDDB gestellt worden. In Entlassungs- und Berufungsfragen kam ihnen großes Gewicht zu, stellten doch ihre Führer an den jeweiligen Hochschulen die politischen Beurteilungen der Kandidaten in Form von Gutachten aus und bestimmten so über Karrierewege an den Hochschulen.[6] Weitere Zuständige wie der „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß verkomplizierten die rasche Durchsetzung von Maßnahmen zusätzlich, was die hochschulpolitische Landschaft der NS-Zeit fragmentiert erscheinen lässt. Dennoch waren die Veränderungen an den Universitäten und Technischen Hochschulen des Reiches radikal. Die „Vielherrschaft“ der zahlreichen Akteure verhinderte die Entlassungswellen in den staatlichen Einrichtungen nicht.[7]


Rüstungs- und Autarkieforschung

Neben der Personalpolitik waren die deutschen Hochschulen in besonderem Maße von der Förderung der Rüstungs- und Autarkieforschung im NS-Staat betroffen. Im Zuge der Kriegsvorbereitung war die Reichsführung auf das Wissen von Natur- und Technikwissenschaftlern angewiesen, um eine Modernisierung des Wehrmachtsarsenals ebenso zu gewährleisten wie eine von ausländischen Quellen unabhängige Rohstoffversorgung.[8] Dies waren Ziele, wie sie ähnlich bereits seit dem Ersten Weltkrieg bestanden hatten. Entsprechende Grundlagen in der Vernetzung von Militär, Industrie und Hochschulen waren bereits in der Weimarer Republik geschaffen worden. In der NS-Zeit wurden diese Beziehungen gestärkt und traten vor dem Hintergrund einer zunehmenden Militarisierung deutlich hervor, an der TH Berlin etwa durch die Gründung der Wehrtechnischen Fakultät oder durch den Ausbau von Lehrveranstaltungen mit militärischem Bezug. Zudem bildete die Hochschule häufig die Kulisse für die zahlreichen Militärparaden auf der Charlottenburger Chaussee (der heutigen Straße des 17. Juni) und wurde zu diesem Zweck baulich umgestaltet, etwa indem auf dem Vorplatz vor dem Hauptgebäude Raum für eine Zuschauertribüne geschaffen wurde.[9]

Die „Wiederwehrhaftmachung“ des Deutschen Reiches bestimmte auch die Forschungsförderungspolitik sämtlicher Disziplinen und ermunterte viele Wissenschaftler, ihre Fähigkeiten in den Dienst der staatlich erwünschten Rüstungsforschung zu stellen, und mehr noch: sich mit selbst-initiierten Forschungsvorhaben aktiv an der Aufrüstung zu beteiligen. Diese „Selbstmobilisierung der reichsdeutschen Wissenschaftler“ war ein Phänomen,[10] welches an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ebenso anzutreffen war wie an den Universitäten und insbesondere den Technischen Hochschulen.[11] Ein Grund hierfür war die Tatsache, dass die gewährten Förderungen insbesondere den Natur-, Technik- und Agrarwissenschaften zugutekamen – Kernbereiche der Technischen Hochschulen –, während geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung jenen Wissenschaftszweigen in der Regel deutlich nachstanden, ein Umstand, der nach 1945 zunächst eine erneute Förderung geisteswissenschaftlicher Disziplinen unter demokratischen Vorzeichen zur Folge hatte.[12]

Die Aufrüstungs- und Autarkiebestrebungen wurden ab 1936 durch den „Vierjahresplan“ forciert, der besonders die Rohstoffgewinnung und Herstellung von Rüstungsgütern zum Ziel setzte und dafür finanzielle Mittel in Aussicht stellte. Die geheime Denkschrift Hitlers zum Vierjahresplan schließt mit der Aufforderung:

Die Aufrüstungs- und Autarkiebestrebungen wurden ab 1936 durch den „Vierjahresplan“ forciert, der besonders die Rohstoffgewinnung und die Herstellung von Rüstungsgütern zum Ziel hatte und dafür finanzielle Mittel in Aussicht stellte. Die geheime Denkschrift Hitlers zum Vierjahresplan schließt mit der Aufforderung:

„I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein.
II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.“[13]

Wissenschaftliche Forschungen, die der Kriegsvorbereitung dienlich erschienen, erhielten in den darauffolgenden Jahren finanzielle Unterstützung. Staatliche Instrumente hierzu waren die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der 1937 gegründete Reichsforschungsrat (RFR).[14] Beide Institutionen waren eng mit dem Heereswaffenamt vernetzt, was insbesondere im Falle der Rüstungsforschung an der Wehrtechnischen Fakultät der TH Berlin die Selbstmobilisierung der dortigen Wissenschaftler förderte und die Technischen Hochschulen zu Forschungsstellen in einem reichsweiten Kooperationsnetz werden ließen. In den Kriegsjahren verdichtete sich dieses Netz politischer und wissenschaftlicher Akteure unter der maßgeblichen Regie Rudolf Mentzels zunehmend, um sich nach Kriegsende teils aufzulösen, teils neu zu verflechten.


[1] Grüttner: Studenten, 1995, S. 66-71.
[2] Mühl-Benninghaus: Beamtentum, 1996, S. 50.
[3] Grüttner: „Wissenschaftler", 2010, S. 152-154 und Schagen: „Wer darf studieren?", 2009.
[4] Vossen: „Systemwechsel“, 2009 S. 25f.
[5] Kändler: Anpassung, 2009, S. 148.
[6] Vossen: „Systemwechsel“, 2009, S. 25f.
[7] Grüttner: „Universitäten“, 2003 S. 79-81.
[8] Hachtmann: „Wissenschaftslandschaft", 2010.
[9] Schade: „Um- und Neuplanung“, 1980, S.98.
[10] Hachtmann: „Wissenschaftslandschaft", 2010, S. 194.
[11] Maier: Forschung als Waffe, 2007.
[12] Hachtmann: „Wissenschaftslandschaft", 2010, S. 198.
[13] Treue: „Denkschrift“, 1955, S. 210.
[14] Flachowsky: Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, 2008.


Literatur

Flachowsky, Sören: Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat. Wissenschaftspolitik im Kontext von Autarkie, Aufrüstung und Krieg, Stuttgart 2008.

Geisert, Helmut: Charlottenburg und die Technische Hochschule. Katalog zur Ausstellung, Berlin 1980.

Grüttner, Michael: „Die deutschen Universitäten unter dem Hakenkreuz“, in:Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von John Connelly und Michael Grüttner, Paderborn 2003.

Grüttner, Michael: „Nationalsozialistische Wissenschaftler. Ein Kollektivporträt“, in: Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Grüttner, Rüdiger Hachtmann, Konrad H. Jarausch, Jürgen John und Matthias Middell, Göttingen 2010, S. 149–165.

Grüttner, Michael: Studenten im Dritten Reich, Paderborn, München, Wien, Zürich 1995.

Hachtmann, Rüdiger: „Die Wissenschaftslandschaft zwischen 1930 und 1949. Profilbildung und Ressourcenmobilisierung“, in: Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Grüttner, Rüdiger Hachtmann, Konrad H. Jarausch, Jürgen John und Matthias Middell, Göttingen 2010, S. 193–205.

Kändler, Wolfram C.: Anpassung und Abgrenzung. Zur Sozialgeschichte der Lehrstuhlinhaber der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg und ihrer Vorgängerakademien, 1851 bis 1945, Stuttgart 2009.

Maier, Helmut: Forschung als Waffe. Rüstungsforschung in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und das KWI für Metallforschung 1900–1945/48, Göttingen 2007.

Mühl-Benninghaus, Sigrun: Das Beamtentum in der NS-Diktatur bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Zu Entstehung, Inhalt und Durchführung der einschlägigen Beamtengesetze, Düsseldorf 1996.

Schade, Ingrid: „Die Um- und Neuplanung der Technischen Hochschule im Nationalsozialismus“, in: Charlottenburg und die Technische Hochschule. Katalog zur Ausstellung, hrsg. von Helmut Geisert, Berlin 1980, S. 97–104.

Schagen, Udo: „Wer darf studieren? Ausgrenzung und Chancengleichheit 1933 und 1945“, in: Wissenschaft macht Politik. Hochschule in den politischen Systemumbrüchen 1933 und 1945, hrsg. von Sabine Schleiermacher und Udo Schagen, Stuttgart 2009, S. 51–61.

Treue, Wilhelm: „Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan 1936“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3 (1955), S. 184–210.

Vossen, Johannes: „Der politische Systemwechsel von 1933 und seine Auswirkungen auf die Hochschulpolitik“, in: Wissenschaft macht Politik. Hochschule in den politischen Systemumbrüchen 1933 und 1945, hrsg. von Sabine Schleiermacher und Udo Schagen, Stuttgart 2009, S. 19–27.