Widerstand an der TH Berlin

Widerstand gegen das nationalsozialistische System hat es an der TH Berlin kaum gegeben. Die politische „Gleichschaltung“ und Umstrukturierung der Hochschule erfolgte sowohl seitens des Lehrpersonals als auch der Studenten ohne nennenswerten Widerstand. Wenn man aber nicht nur nach Widerstand im engen Wortsinn sucht, so findet man oppositionelles Verhalten in verschiedenen Ausprägungen.

Vereinzelte Bemühungen seitens des Lehrpersonals, der Verdrängung von Kollegen entgegenzuwirken, hatten aber nicht immer den Hintergrund moralischer oder humanistischer Überzeugungen. Stattdessen war zum Beispiel die Sorge um fähige Nachfolge manchmal der Grund für den Protest gegen Entlassungen.


Widerstand unter den Studenten

Studentischer Widerstand war an deutschen Universitäten die Ausnahme. Vielmehr waren die Studenten die treibende Kraft an den Universitäten, die nationalsozialistische Maßnahmen wie die Bücherverbrennungen und Vertreibungen unerwünschter Lehrkräfte organisierten und vorantrieben. Der nationalsozialistische deutsche Studentenbund hatte schon vor 1933 an vielen Hochschulen die Mehrheit bei den AStA-Wahlen gewonnen, so auch an der TH Berlin. Die Vertreibung kommunistischer Studenten wurde an der TH Berlin in vorauseilendem Gehorsam schon vor der Bekanntgabe offizieller Anweisungen durch Senatsbeschluss vollzogen.[1] Mit dem Erlass des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 29. Juni 1933, der die Ausschließung vom Studium von Studierenden, die sich im kommunistischen Sinne betätigt hatten, anwies, bekam diese Praxis eine legale Rechtfertigung. Die Vertreibung der Linken verhinderte organisierten Widerstand an der Hochschule, jedoch wurden widerständische Aktionen von relegierten Studenten außerhalb der Hochschule fortgeführt.

Heinrich Koenen

Bild fehltHeinrich Koenen, in: Deutsche Widerstandskämpfer 1933-1945, S. 515, CC: Karl Dietz Verlag Berlin

Heinrich Koenen (1910–1945) studierte an der TH Berlin Maschinenbau. Er war der Sohn des KPD-Reichstagsabgeordneten Wilhelm Koenen und selbst politischer Leiter des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschland (KJVD) in Berlin-Moabit sowie Mitglied der KoStuFra. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten relegiert und emigrierte in die Sowjetunion, um als Versuchsingenieur am Automobil- und Traktoreninstitut Moskau zu arbeiten. Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 meldete er sich zusammen mit seinem Vetter Viktor Koenen freiwillig zum Dienst bei der Roten Armee. Er erhielt dort eine Spezialausbildung zum Fallschirmspringer und Funker. Koenen wurde mit einem geheimen Einsatz im Deutschen Reich betraut, um den abgebrochenen Kontakt zu Berliner Vertretern der Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack wiederherzustellen. Im Oktober 1942 sprang er mit dem Fallschirm über Ostpreußen ab und schlug sich nach Berlin durch, wo er die Widerstandskämpferin Ilse Stöbe traf. In ihrer Wohnung wurde er von der Gestapo gefasst, die auf Besucher von Stöbe wartete. Koenen wurde daraufhin ohne Prozess ins Konzentrationslager Sachsenhausen abtransportiert und dort ermordet.[2]

Vereinzelt setzen sich Studierende für verfolgte Dozenten ein. Ein solches Beispiel ist eine Unterschriftenaktion für den Privatdozenten für Hydromechanik, Franz Eisner. 15 Studenten unterzeichneten mit ihren Matrikelnummern eine Eingabe, die forderte, dass Eisner seine Vorlesungen weiter halten durfte. Die Aktion blieb auf tragische Weise erfolglos: Eisner nahm sich 1933 mit nur 37 Jahren das Leben. Ob sie Konsequenzen für die Teilnehmer hatte, kann nicht mehr nachvollzogen werden.[3]


Widerstand unter den Dozenten

Ernst Erich Jacobsthal

Ein Beispiel dafür, dass bei Entlassungen von Kollegen Gegenwehr geleistet wurde, allerdings nicht aus ideellen Überzeugungen, sondern aus der Schwierigkeit, Stellen nachzubesetzen, ist der Fall von Ernst Erich Jacobsthal (1882–1965). Er war nicht beamteter außerordentlicher Professor für Mathematiker an der TH Berlin. Am 1. Oktober 1934 wurde ihm aufgrund des „Gesetz[es] zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ die Lehrbefugnis entzogen. Rudolf Rothe wandte sich daraufhin an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung mit der Bitte, das Lehrverbot wieder aufzuheben. Als Begründung nannte er, dass „[...] die Fakultät nicht in der Lage ist, für Prof. Jacobsthal einen geeigneten Ersatz aus den Kreisen ‚verfügbarer‘ Privatdozenten in Berlin vorzuschlagen. Es gibt unter den Privatdozenten der Mathematik z. Zt. weder an der Technischen Hochschule noch an der Universität einen solchen, der Prof. Jacobsthal irgendwie ersetzen könnte.“[4]Nur kurze Zeit später zerstörte Rothe allerdings eine akademische Karriere, indem er die Fakultät darüber informierte, dass der Mathematiker Michael Sadowsky mit einer Jüdin verheiratet sei.[5]

Daniel Krencker

Bild fehltTeilnehmer der Deutschen Aksum Expedition, Februar 1906, v. l.: Theodor von Lüpke, Mitarbeiter (später Leiter) der Königl. Preußischen Messbild-Anstalt Berlin, Dr. Kaschke, (Kolonial-)Arzt und Sammler von Ethnologica, Gebre Selassie, Gouverneur der Provinz Tigre, Verwandter Kaiser Menelis II und Beschützer der Expedition, Enno Littmann und Daniel Krencker, Foto: CC FU Berlin GeschKult

Auf Seiten der Dozenten waren die Reaktionen auf die politische „Gleichschaltung“ der Hochschulen eher zurückhaltend. Eine Ausnahme bildete dabei der ehemalige Rektor von 1930/31 der TH Berlin und international anerkannte Archäologe Daniel Krencker (1874–1941). Er opponierte gegen nationalsozialistische Maßnahmen und setzte sich beispielsweise im März 1933 gegen das Hissen der Hakenkreuzfahne zur Wehr.

Krencker wollte die Politisierung der Hochschule verhindern. „Es muß von vornherein festgestellt werden, daß Politik mit unseren deutschen Hochschulen nichts zu tun hat. Unsere Hochschulen sollen in sich geschlossene Geistes-Staate sein, denen die Politik im allgemeinen und die Parteipolitik im besonderen fernzubleiben haben […].“[6] Krencker verbot Anschläge von Angehörigen des NSDStB ans Schwarze Brett der TH Berlin. Diese zogen jedoch mit ihren Anschlägen direkt vor das Hauptgebäude, was für die Verbreitung ihrer Weltanschauung wesentlichpublikumswirksamer war. Weil Krencker gegen den NSDStB auftrat, beantragte Willi Willing als Führer der Dozentenschaft 1934 beim Rektor seine Dienstentlassung. Man entließ ihn jedoch nicht und so konnte er noch bis zu seiner Emiritierung 1939 seine Lehrtätigkeit ausüben.[7]

Krencker setzte sich auch für seinen Kollegen Georg Schlesinger (1874–1949) ein. Schlesinger war Professor für Maschinenbau und Begründer der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Fertigungstechnik und Betriebswissenschaften. In den 1920er Jahren unternahm er Reisen in die USA, Japan, England und die Sowjetunion, „um neue Fabrikmethoden zu erkunden und Absatzmärkte für deutsche Werkzeugmaschinenhersteller zu öffnen.[8] Die Kooperation mit der Sowjetunion, welche Ausrüstungen und Anlagen von deutschen Herstellern bezog, sollte ihm nach 1933 zum Verhängnis werden.

Schlesinger wurde von zwei seiner Assistenten der Industriespionage beschuldigt, woraufhin im März 1933 die SA und einen Monat später die Gestapo seine Wohnung durchsuchten. Die Anschuldigungen erwiesen sich als haltlos. Ungeachtet dessen durfte er das Institut nicht wieder betreten. Krencker und der Dekan Orlich setzten sich bei Minister Rust für Schlesinger ein und forderten in einer Ehrenerklärung seine Rehabilitierung. Ebenso verteidigte Wademar Koch, Privatdozent für Betriebswirtschaftslehre, Schlesinger als Ehrenmann.

Schlesinger wurde wegen „Verrat militärischer Geheimnisse“ inhaftiert, kam jedoch nach zwei Monaten wieder frei, da sich die Vorwürfe als nicht stichhaltig erwiesen. Auch aufgrund einer weiteren Anschuldigung wegen „unlauteren Wettbewerb[s]“ gelang es nicht, Schlesinger im Gefängnis festzuhalten. Nach sieben Monaten Haft wurde er am 26.11.1933 von allen Vorwürfen freigesprochen. Dennoch wurde das Lehrverbot aufrecht erhalten.[9] Schlesinger wurde im September 1933 auf Grund von § 4 des Berufsbeamtengesetzes aus dem Staatsdienst entlassen. Diese Entscheidung wurde ein Jahr später revidiert. Rückwirkend zum 1. Januar 1934 wurde er auf Grund von § 6 in den Ruhestand versetzt.[10]

Aufgrund der ständigen Bedrohung verließ Georg Schlesinger 1934 Deutschland. Trotz aller Schikane gelang es Schlesinger sein Buch „Die Werkzeugmaschinen“ bei Julius Springer im Jahr 1936 zu veröffentlichen.[11]

[1] Ebert: "Technische Hochschule", 1979, S. 458.
[2] Kraushaar: Deutsche Widerstandkämpfer, 1970, S. 513 – 515.
[3] Baganz: Diskriminierung, 2013, S. 95.
[4] Schreiben der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften der TH Berlin an den Ministter für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 23.4.1934, GStA PK, I. JA Rep. 76, Kultusministerium, V b Sekt. 5 Tit. III Nr. 1 Beiheft Bd, 2, Bl, 167-171, hier Bl. 167, zitiert in: ebd., S. 110.
[5] TU Berlin, Pressestelle: "Ernst Erich Jacobsthal".
[6] "Studentische Disziplin. Eine Unterredung mit Prof. Krencker", in: Hamburger Fremdenblatt vom 30.07.1931, Nr. 209, zitiert in: Baganz: Diskriminierung, 2013, S. 29.
[7] Ebd.,S. 104.
[8] Schwarzburger: „1933 von der TH Charlottenburg entfernt und zur Emigration gezwungen“.
[9] Baganz: Diskriminierung, 2013, S. 106.
[10] Förster: „Versagen der deutschen Wissenselite“, S. 12.
[11] Schwarzburger: „1933 von der TH Charlottenburg entfernt und zur Emigration gezwungen“.

Literatur

Baganz Carina: Diskriminierung. Ausgrenzung. Vertreibung. Die Technische Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus, Berlin 2013.

Ebert, Hans; Hausen, Karin: "Georg Schlesinger und die Rationalisierungsbewegung in Deutschland", in: Rürup, Reinhard (Hrsg.): Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Berlin 1979, S. 315-334.

Ebert, Hans: "Die Technische Hochschule Berlin und der Nationalsozialismus: Politische 'Gleichschaltung' und rassistische 'Säuberungen'", in: Rürup, Reinhard (Hrsg.): Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Berlin 1979, S. 455 - 468.

Kraushaar, Luise: Deutsche Widerstandskämpfer 1933–1945. Biographien und Briefe, Bd. 1, Berlin 1970.

Schottlaender, Rudolf: "Antisemitische Hochschulpolitik: Zur Lage an der Technischen Hochschule Berlin 1933/34", in: Rürup, Reinhard (Hrsg.): Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Berlin 1979, S. 445 – 454.

Schrader, Fred E.:Der Moskauer Prozeß 1936. Zur Sozialgeschichte eines politischen Feindbildes, Frankkurt/Main 1995.

Förster, Hans Christian: „Das Versagen der deutschen Wissenselite“, in: TU Berlin. Intern. Die Hochschulzeitung der Technischen Universität Berlin, 6/08: , unter: https://www.pressestelle.tu-berlin.de/fileadmin/a70100710/Fotos/TU_intern/2008/Juni/tui6_2008.pdf (aufgerufen am: 26.07.2016), S. 12.

„Den Völkermord bezeugen. Kurt Gerstein“, in: Was konnten sie tun? Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1939-1945. Website zur Wanderausstellung. Ein Angebot der Stiftung 20. Juli 1944 und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, unter: http://www.was-konnten-sie-tun.de/themen/th/den-voelkermord-bezeugen/ (aufgerufen am: 27.07.2016).

"Ernst Erich Jacobsthal", in: TU Berlin, Pressestelle: , unter: https://archiv.pressestelle.tu-berlin.de/doku/200jahre/ausstellung/2.etage/flure/nr.20/nr20.3.htm (aufgerufen am: 26.07.2016).

„Karl Willy Wagner“, in: TU Berlin. Institut für Telekommunikationssysteme. Fachgebiet Nachrichtenübertragung , unter: https://www.nue.tu-berlin.de/menue/home/geschichte/historische_persoenlichkeiten/kw_wagner/ (aufgerufen am: 26.07.2016).

Schwarzburger, Heiko: „1933 von der TH Charlottenburg entfernt und zur Emigration gezwungen - die TU ehrt den jüdischen Professor“,in: Der Tagesspiegel: 5.10.1999, unter: http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/gesundheit/1933-von-der-th-charlottenburg-entfernt-und-zur-emigration-gezwungen-die-tu-ehrt-den-juedischen-professor/96274.html (aufgerufen am: 26.07.2016).

Thoma, Alfred: „Laudatio Willy Wagner“, unter: http://www.ulrichthoma.de/laudatio/ (aufgerufen am: 26.07.2016).