Personal
Entlassungen und Berufungen
In den zwölf Jahren der NS-Herrschaft war die deutsche Hochschullandschaft mit bis dahin beispiellosen Umwälzungen in der Zusammensetzung der Studenten- und Hochschullehrerschaft konfrontiert. Auf Grund der vom NS-Regime umgestalteten Gesetzeslage verloren durch zahlreiche Entlassungen zwischen 1933 und 1936 etwa 16 Prozent der Hochschullehrer an den Universitäten ihre Stellen. Hauptsächlich handelte es sich dabei um nach den NS-Gesetzen als „Juden“ geltende Dozenten.[1] Die Entlassungszahlen an den Technischen Hochschulen weisen mit durchschnittlich 10,7 Prozent eine geringere Quote auf;[2] eine Diskrepanz, die darauf zurückgeführt werden kann, dass an einigen Universitäten zur Zeit der Weimarer Republik eine liberalere Haltung als an den THs vorherrschte, was der Einstellung jüdischer, aber auch politisch linksstehender Wissenschaftler zugutekam. Die niedrigere Entlassungsquote der Technischen Hochschulen sollte damit nicht als schützende Haltung der THs gegenüber ihren entlassungsbedrohten Hochschullehrern missverstanden werden, sondern vielmehr als Ausdruck eines mangelenden Integrationswillens von Juden, Sozialdemokraten und Kommunisten in den Lehrkörper bereits vor 1933. Die TH Berlin lag in dieser Hinsicht deutlich über dem Durchschnitt der anderen Technischen Hochschulen: „Zum jetzigen Zeitpunkt sind von den ca. 490 Angehörigen des Lehrpersonals der TH Berlin der Jahre 1932/33 – Dozenten, Oberingenieure, Assistenten – 107 bekannt, denen aus „rassischen“ oder politischen Gründen die Lehrbefugnis entzogen wurde.“[3] Dies entspricht während der gesamten NS-Zeit einer Quote von 21,8 Prozent entlassenen Wissenschaftlern.
Die meisten, die aus den Hochschulen vertrieben worden waren, emigrierten bald darauf. Die freiwerdenden Stellen wurden teilweise gestrichen, in der Regel jedoch neu besetzt. Für die „arischen“ Anwärter auf akademische Stellen, um deren Karriereaussichten es Anfang der 1930er Jahre aufgrund ihrer schieren Anzahl noch schlecht bestellt gewesen war, bedeuteten die Vertreibungen damit eine Chance „aufzurücken“. Der Parteiführung der NSDAP war in der Frühphase ihrer Herrschaft besonders daran gelegen, Partei- und Gesinnungsgenossen an wichtige Stellen staatlicher Einrichtungen zu berufen, und auch die Hochschulen als Lehr- und Forschungseinrichtungen waren hiervon betroffen. In der Folge erhielt das politische Engagement in den Berufungsverfahren eine herausragende Stellung. Bemessen wurde die politische Eignung durch Gutachten der Vertreter der Dozentenschaft bzw. des NSDDB an den jeweiligen Hochschulen, die ihre Einschätzung dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) mitteilten. Dieses traf letztlich die Berufungsentscheidung. Die Parteimitgliedschaft konnte dabei ein wichtiges Kriterium zur Bewertung der politischen „Eignung“ sein. Dies wiederum führte zu zahlreichen NSDAP-Mitgliedsanträgen unter den etablierten Hochschullehrern und denen, die in der wissenschaftlichen Hierarchie aufsteigen wollten.
Mitgliedschaft in der NSDAP an der TH Berlin
Beides, die Parteieintritte der Ordinarien und die Berufungen von langjährigen Parteigängern, machten sich in der Struktur des Lehrkörpers rasch bemerkbar. 1933 waren 12 von 79 Ordinarien, also rund 15 Prozent, Mitglied der NSDAP, ein Wert, der sich in den Folgejahren kontinuierlich steigerte (1935 bereits über ein Viertel) und sich ab 1940 bei über 50 Prozent stabilisierte. Ab Februar 1939 war die Mitgliedschaft in der Partei oder einer ihrer Gliederungen verpflichtend für die Beamtenlaufbahn und damit auch für Berufung zum ordentlichen Professor geworden. Nimmt man außerdem die Nicht-Ordinarien hinzu, lassen sich für das Jahr 1941 etwa 57 Prozent des gesamten Lehrkörpers als Mitglieder der NSDAP identifizieren.[4]
Trotz dieser besonderen Berücksichtigung des Politischen waren wissenschaftliche Qualifikationsnachweise wie Promotion und Habilitation in der Regel die maßgebliche Voraussetzung bei Berufungen auf Hochschullehrstellen. Die Ernennung Willi Willings zum ordentlichen Professor an der TH Berlin, ohne dass dieser die erforderliche Habilitation vorweisen konnte, gehörte eher zu den Ausnahmen.[5]
Personalpolitischer Kurswechsel
Etwa ab 1937 lockerte sich die Strenge der politischen Auslese an den Hochschulen zum Teil wieder. Die wissenschaftliche Forschung zu militärischen Zwecken im Zuge des Vierjahresplans von 1936 erforderte vor allem qualifiziertes Personal unabhängig von politischem Eifer. Zudem ließen zur Mitte der 1930er Jahre die geburtenschwachen Jahrgänge des Weltkriegs die Zahl der Studenten und des wissenschaftlichen Nachwuchses sinken. Auch büßte die akademische Laufbahn an Attraktivität ein. Besonders auf studentischer Seite wandelten die verordneten außeruniversitären Verpflichtungen wie Arbeitsdienste die anfängliche Zustimmung unter den Studenten bald in eine vorsichtige Reserviertheit gegenüber den neuen Machthabern.[6] Auch sahen viele junge Akademiker in der Industrie eher einen lohnenden Karriereweg als in der mit politischer Kontrolle verbundenen Hochschullaufbahn. In der Folge versuchte das REM gegenzusteuern, indem es die Rolle der politischen Gutachten bei Berufungsverfahren minderte und 1939 die finanziell prekäre Situation von Assistenten und Privatdozenten zu bessern versuchte. Auch die letzten entlassungsbedingten „Säuberungen“ des Lehrkörpers fielen in diese Zeit.
Die Kriegszeit – Fronteinsätze und Frauenstudium
Mit Kriegsbeginn veränderte sich die Situation für die Hochschulen und ihre Angehörigen erneut grundlegend. Zahlreiche männliche Studenten und Lehrpersonen wurden zum Kriegsdienst einberufen. Um den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten, wurden die Zugangsbedingungen zum Hochschulstudium derart angepasst, dass Frauen in den Kriegsjahren leichter ein Studium aufnehmen konnten. Auch der Zugang zu Stellen im Lehrkörper wurde erleichtert, was den Frauenanteil rasch ansteigen ließ und 1944 erstmals zu einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis an deutschen Hochschulen führte.[7] Gleichzeitig bemühten sich viele ihrer männlichen Kollegen, die Relevanz ihrer Forschungsarbeit für den weiteren Kriegsverlauf zu betonen, um den Einsatz an der Front zu vermeiden. Mit zunehmender Dauer des Krieges trat die Gewichtung des politischen Engagements in den Hintergrund und vor allem die Zweckdienlichkeit des einzelnen Hochschullehrers gab den personalpolitischen Ausschlag für die Beschäftigung im mehr und mehr auf Rüstungsforschung ausgerichteten Hochschulbetrieb.
[1] Grüttner: „Universitäten", S. 80 und 83.
[2] Titze: „Hochschulen“, S. 226.
[3] Baganz: Diskriminierung, S. 135.
[4] Kändler: Anpassung, S. 147.
[5] Grüttner: „Wissenschaftler", S. 152–154.
[6] Grüttner: „Universitäten", S. 93.
[7] Ebd., S. 92.
Literatur
Baganz, Carina: Diskriminierung, Ausgrenzung und Vertreibung. Die Technische Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus, Berlin 2013.
Connelly, John; Grüttner, Michael: Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn 2003.
Grüttner, Michael: „Die deutschen Universitäten unter dem Hakenkreuz“, in: Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von John Connelly und Michael Grüttner, Paderborn 2003, S. 67–100.
Grüttner, Michael: „Nationalsozialistische Wissenschaftler. Ein Kollektivporträt“, in: Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Grüttner, Rüdiger Hachtmann, Konrad H. Jarausch, Jürgen John und Matthias Middell, Göttingen 2010, S. 149–165..
Kändler, Wolfram C.: Anpassung und Abgrenzung. Zur Sozialgeschichte der Lehrstuhlinhaber der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg und ihrer Vorgängerakademien, 1851 bis 1945, Stuttgart 2009.
Titze, Hartmut: „Hochschulen“, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Bd. 5. 1918 – 1945. die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, hrsg. von Dieter Langewiesche und Heinz-Elmar Tenorth, München 1989, S. 209–258.