nach 1945

Von allen Gebäuden der TH waren wie durch ein Wunder erhalten: das Studentenhaus, die Mensa und der große Pfeilergang, den wir durchschritten, vor uns die gespenstischen Fensterhöhlen der gigantischen, feuergeschwärzten, zersprungenen Sandsteinfassade des Hauptgebäudes. Vom zertrümmerten physikalischen Institut hing eine emporgeschleuderte Eisenbetondecke wie ein Teppich herunter.
Werner Hahmann: Wie die Technische Universität Berlin entstand, S. 5.


Die Entnazifizierung - Zwischen Entlassung und Kooperation

Als die Rote Armee Anfang Mai die letzten deutschen Truppen in Berlin zur Kapitulation zwang und die wichtigsten Gebäude der Stadt besetzte, war die TH Berlin durch zahlreiche Bombentreffer zu rund 50 Prozent zerstört.[1] Diese wie auch alle übrigen Einrichtungen Berlins gerieten zunächst unter sowjetische Verwaltung, bis die Stadt ab Juli 1945 ihre von den Siegermächten bereits während des Kriegs vorgesehene Gliederung in vier Sektoren erhielt. Die Technische Hochschule fiel unter britische Kontrolle. Die britische Besatzungspolitik trug pragmatische Züge.[2] Den Briten war schon allein deshalb an einem raschen Wiederaufbau der Universitäten und Technischen Hochschulen gelegen, da zahlreiche junge Männer aus dem Krieg zurückkehrten und eine funktionierende deutsche Wirtschaft auf qualifiziertes Personal angewiesen war.[3] Entsprechend stieß der bereits im Juni auf Eigeninitiative einiger TH-Professoren eingerichtete „Arbeitsausschuß zur Vorbereitung der Wiedereröffnung der Technischen Hochschule“ bei den Briten auf offene Ohren. So konnten bereits im Juli einige Vorkurse im Namen der Hochschule angeboten werden, wenn auch noch kein regulärer Lehrbetrieb stattfand. Dieser konnte ab dem Sommersemester 1946 wieder aufgenommen werden.[4]

Bild fehltDas zerstörte Hauptgebäude der TH Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg - Ansicht von der Charlottenburger Chaussee (heute: Straße des 17. Juni), Universitätsarchiv TU Berlin.

Trotz der pragmatischen Haltung der Briten waren diese gemeinsam mit den anderen Besatzungsmächten nicht allein an einem zügigen Wiederaufbau, sondern insbesondere auch an der Frage interessiert, in welche Hände die von ihnen verwalteten Institutionen zukünftig übergeben werden sollten. Im Zuge der Entnazifizierung wurde das Personal politisch überprüft, insbesondere jenes von öffentlichen Einrichtungen. Dies sollte auch dem Ziel der „Re-education“ der deutschen Bevölkerung dienen, indem potentiell gefährliche, ehemalige Nationalsozialisten aus dem Dienst entlassen und demokratische Kräfte gestärkt würden. Dies betraf die Hochschulen als Bildungseinrichtungen in besonderen Maßen, weshalb die Besatzungsmächte Verbindungsoffiziere an die ihr zugeordneten Hochschulen abstellten. Der Berliner Magistrat – die von den Sowjets eingesetzte, provisorische Verwaltung Groß-Berlins – setzte im Sinne der Entnazifizierungspolitik den „Leitenden Ausschuß für Hochschulfragen“ ein, welcher mit der Überprüfung sämtlicher Hochschullehrer beauftragt wurde.[5]

Deutschlandweit kam es im Zuge der Entnazifizierung zu zwei Entlassungswellen, von denen die erste im Herbst 1945 die zweite ein Jahr darauf begann. An der TH Berlin verloren bis November 1945 zunächst 37 Hochschullehrer ihre Stelle. Diese ersten Entlassungen entbehrten noch einer alliierten Rechtsgrundlage.[6] Sie erfolgten auf Basis kooperativer Arbeit zwischen deutschen Ausschüssen und den Besatzern. Bereits im Juni 1945 hatte der damalige Prorektor und spätere erste offizielle Nachkriegsrektor Walter Kucharski gemeinsam mit Kollegen eine Liste mit 22 Namen von Hochschullehrern zusammengestellt und an den britischen Verbindungsoffizier übergeben, die zur Entscheidung über Entlassungen diente.[7] Den 37 Entlassenen folgten ab November 29 weitere, denn die britische Militärregierung hatte den Befehl gegeben, ausnahmslos alle NSDAP-Mitglieder unter den Hochschullehrern zu entlassen. Auch die Entlassung von Walther Moede fiel in diese Zeit.

Moede und andere zeigten sich besonders bemüht, Einspruch gegen ihre Entlassungsbescheide einzulegen. Der Grund lag in der später sich etablierenden Bedeutung der Entnazifizierung für die Betroffenen – anfangs meinte Entnazifizierung die Entfernung der Nationalsozialisten, später bedeutete sie die Entfernung des Makels der politischen Belastung vom Betroffenen. Für die Betroffenen waren die Verfahren also eine Möglichkeit, sich „reinzuwaschen“, d.h. eine „Bescheinigung der jeweiligen politischen Unverdächtigkeit“ zu erhalten.[8] Gelang dies, konsolidierten sie ihre berufliche und soziale Stellung. Eine günstige Gelegenheit hierzu bot sich den Mitgliedern in den zur Entnazifizierung und zum Wiederaufbau der Hochschulen gebildeten Ausschüssen. Die dort vertretenen Hochschullehrer stellten aus britischer Sicht keine nationalsozialistische Bedrohung dar, sondern sollten vielmehr durch die Gewährung gewisser Kompetenzen demokratische Prozesse „von unten“ anstoßen. So kam es, dass Kollegen über Kollegen urteilten. 109 Angehörige des TH-Lehrpersonals wurden bereits im Juni 1945 überprüft – die eifrigsten Nationalsozialisten unter ihnen, wie Willi Willing, wurden umgehend entlassen.[9] Die Entnazifizierung lässt sich folglich nicht nur als ein personalpolitischer Kontrollprozess verstehen, sondern auch als ein Weg, wie Deutsche nach dem Krieg in Kooperationsverhältnisse mit den neuen Machthabern einzutreten versuchten. Dies traf nicht allein auf die „Demokraten“ in den Ausschüssen zu, sondern auch auf all jene „belasteten“ Hochschullehrer, die der politischen Überprüfung unterzogen wurden. Denn auch sie akzeptierten die Vorgaben der Überprüfung, suchten sich in der neuen Ordnung einzurichten und mit den Besatzungsmächten zu arrangieren, die ihrerseits drängendes Interesse an der Übernahme der Spitzenwissenschaftler in ihre Forschungsprogramme und dem Wiederaufbau der deutschen Hochschulen hatten.[10]

Es war der erste Fragebogen, der mir vorgelegt wurde, und wieviele sollten es im Laufe der folgenden Zeit noch werden, nicht nur mit der oben schon erwähnten [Frage nach der NSDAP-Mitgliedschaft], sondern mit anderen sich überkreuzenden, bis zur Zahl 132 sich vermehrenden Fragen.
Werner Hahmann: Wie die Technische Universität Berlin entstand, S. 6.

Im Januar 1946 folgte mit der „Kontrollratsdirektive Nr. 46“ erstmals eine Rechtsgrundlage für Entlassungskriterien, die zur Beurteilung in den Entnazifizierungsausschüssen herangezogen werden sollten. Zudem lieferten Fragebögen Informationen über die Betroffenen. Abgefragt wurden nicht nur die Parteimitgliedschaft und Dienstgrade, sondern auch die Religionszugehörigkeit, gehaltene Reden und die politische Gesinnung des Ehepartners. Insgesamt enthielt das Dokument 132 Fragen. Zwei Monate später sorgte das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ für die Schaffung von fünf Kategorien „zur gerechten Beurteilung der Verantwortlichkeit“ (Artikel 4):

  1. Hauptschuldige
  2. Belastete
  3. Minderbelastete
  4. Mitläufer
  5. Entlastete
Im Oktober 1947 übertrug der Alliierte Kontrollrat die Zuständigkeit für die Entnazifizierungsverfahren an die deutschen Behörden und ab Ende 1951 galt die Entnazifizierung in der Bundesrepublik Deutschland offiziell als beendet. Mit dem 1951 erlassenen Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen besaßen diejenigen Hochschullehrer, die nicht unter die Kategorien I oder II gefallen waren, ein Anrecht, in den Hochschulbetrieb zurückkehren. So gelang es ehemaligen Professoren wie Franz Bachér, der als Leiter der Hochschulabteilung im Amt Wissenschaft des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ein nationalsozialistischer Akteur war, ihre alten Lehrstellen wiederzuerhalten. Welche „kollegialen Netze“ dabei an den Berliner Hochschulen eine Rolle spielen, wäre ein Gegenstand zukünftiger historischer Forschung.[11]


Wiederaufbau, Rehabilitierung und die „Technische Universität“

Als die Technische Hochschule noch unter sowjetischer Kontrolle stand, hatte der Magistrat sämtliche Arbeitsverhältnisse städtischer Beschäftigter für erloschen erklärt, wodurch die Hochschullehrer lediglich kommissarisch an der Hochschule verblieben. Formal war damit bereits ein klarer Schnitt gesetzt, der eine Distanzierung zur vorausgegangenen NS-Administration darstellen sollte und die erste Voraussetzung für eine Neueröffnung schuf.[12] Unter den Alliierten bestand Einigkeit, die Universitäten und Technischen Hochschulen wieder zu eröffnen, sobald die Voraussetzungen durch den Entnazifizierungsprozess erfüllt wären.[13]

Nach der Ausarbeitung eines neuen, mit dem Magistrat abgestimmten Lehrplans konnte die feierliche Neueröffnung auf den 9. April 1946 festgelegt werden.[14] Im Zuge der Entmilitarisierung war die Wehrtechnische Fakultät ebenso abgeschafft worden wie die Fächer Seeschiff- und Flugzeugbau. Mit der offiziellen Gründung erfolgte eine Namensänderung, die für die Technischen Hochschulen in Deutschland einzigartig blieb: aus der „Technischen Hochschule“ wurde die „Technische Universität“. Die Wortneuschöpfung hatte sich zum einen aus der Praxis der vielsprachigen Besatzungszeit ergeben, nachdem insbesondere das Englische keine wirklich treffende Übersetzung des deutschen Ausdrucks „Hochschule“ kannte. Zum anderen ließ sich die neuartige Bezeichnung in das Konzept einer reformierten Hochschule einfügen, wie es den westlichen Besatzungsmächten vorschwebte. Die Studenten technischer und naturwissenschaftlicher Fächer sollten nicht allein eine spezielle Ausbildung in ihrem Studiengang erhalten, sondern sich ein umfassenderes Wissen im Sinne einer humanistischen Bildung und Persönlichkeitsentwicklung erarbeiten. Dahinter stand der Gedanke, die Limitierung auf das Spezielle habe die Ingenieure und Technikwissenschaftler für den militaristischen Missbrauch ihrer Disziplinen empfänglich gemacht. Die konkrete Ausformungen dieser Reformbestrebungen waren die Einrichtung von „allgemeinbildenden“ Lehrveranstaltungen und die Gründung der „Humanistischen Fakultät“. Der im Januar 1948 gegründete „Ausschuß für die neue Studienordnung und den Aufbau der neuen Fakultät“ erarbeitete für das Wintersemester 1948/49 eine Studienordnung, die für alle Studenten technikwissenschaftlicher Fachrichtungen den Besuch einiger „humanistischer“ Lehrveranstaltungen zur Pflicht erklärte, darunter: Philosophie, Deutsche Literatur, Kunstgeschichte, Rechtskunde und Angewandte Anthropologie.[15] Einer der treibenden Kräfte war der Professor für technische Chemie und Prorektor Hans Heinrich Franck. Um den als anfängliches Grundstudium gedachten Fächern einen institutionellen Rahmen zu gegeben, erfolgte im März 1950 die Gründung der Humanistischen Fakultät, an der neben einigen Lehrstühlen auch eine Reihe von Lehraufträgen für Sprachen vergeben wurden.[16] Die Technische Universität Berlin blieb auf Jahre die einzige Technische Hochschule, die einen solchen Weg beschritt und konnte gerade mit der Einrichtung der Humanistischen Fakultät eine Vorreiterrolle in Westdeutschland gewinnen.

In der NS-Zeit waren 107 Hochschullehrer vertrieben worden. Lediglich sechs von ihnen kehrten an die TU Berlin zurück. Diese geringe Zahl ist nicht zuletzt auf die zurückhaltende Einstellung der Universitätsleitung zurückzuführen. Zwar hatten britische Offiziere die Hochschulen dazu aufgefordert, insbesondere emigrierte Hochschullehrer zur Rückkehr zu bewegen. Manche Hochschulen luden teils vertriebene Wissenschaftler dazu ein, auf ihre alten Stellen zurückzukehren,[17] nicht jedoch die TU Berlin, die der Forderung der Alliierten, eine generelle Einladung als Teil der Wiedergutmachungspolitik auszusprechen, nicht nachkam. Die Hochschule reagierte nur auf Nachfrage. Solche Initiativen waren jedoch selten, hatten doch gerade die emigrierten Hochschullehrer oftmals neue Stellen erhalten und standen der unsicheren beruflichen Situation im zerstörten Nachkriegsdeutschland kritisch gegenüber. So besaß die Berliner Technische Hochschule nach 1945 personell wie institutionell ein verglichen mit der Weimarer Zeit erheblich verändertes Gesicht. Es trug vor allem die Züge der vielen „Mitläufer“, die sich nun, nach dem Nationalsozialismus, im Hochschulalltag der reformierten, demokratischen Technischen Universität Berlin einzurichten verstanden.

[1] Brandt: „Wiederaufbau", S. 501.
[2] Ash: „Umbrüche", S. 909.
[3] Ash: „Kontinuitäten“, S. 225.
[4] Brandt: „Wiederaufbau", S. 500.
[5] Ebd., S. 498.
[6] Rammer: Nazifizierung, S. 99.
[7] Brandt: „Wiederaufbau", S. 505f.
[8] Rammer: Nazifizierung, S. 6.
[9] Baganz: Diskriminierung, S. 351f.
[10] Ash: „Umbrüche".
[11] Rammer: Nazifizierung, S. 12–14.
[12] Brandt: Diskriminierung, S. 499.
[13] Ash: „Kontinuitäten“, S. 225.
[14] Brandt: Diskriminierung, S. 500.
[15] Ebd., S. 514.
[16] Ebd., S. 515.
[17] Ash: „Kontinuitäten“, S. 228.


Literatur

Ash, Mitchell G.: „Konstruierte Kontinuitäten und divergierende Neuanfänge nach 1945“, in: Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Grüttner, Rüdiger Hachtmann, Konrad H. Jarausch, Jürgen John und Matthias Middell, Göttingen 2010.

Ash, Mitchell G.: „Verordnete Umbrüche – Konstruierte Kontinuitäten. Zur Entnazifizierung von Wissenschaftler und Wissenschaften nach 1945“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 43 (1995), S. 903-923.

Baganz, Carina: Diskriminierung, Ausgrenzung und Vertreibung. Die Technische Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus, Berlin 2013.

Brandt, Peter: „Wiederaufbau und Reform. Die Technische Universität Berlin 1945–1950“, in: Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Bd. 1, hrsg. von Reinhard Rürup, Berlin, Heidelberg, New York 1979, S. 495-522.

Hahmann, Werner: Wie die Technische Universität Berlin entstand. Chronik d. Zeit vom 2. Mai 1945 bis zum 9. April 1946, Berlin [1963].

Rammer, Gerhard: Die Nazifizierung und Entnazifizierung der Physik an der Universität Göttingen, Diss. Göttingen 2009.